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Reisebericht vom 15.10.2014

Wisst Ihr denn nicht dass wir besetzt sind ? - Aktuelle Eindrücke von der Krim.

„Wo kommen Sie her, aus Deutschland?“, fragte der Verkäufer von frisch gepflückten Teesorten im Touristen-Seebad Nowy Swet, wo der echte Krimsekt produziert wird, unseren Reiseführer erstaunt, um lachend fortzufahren „Wissen Sie denn nicht, dass wir besetzt sind ?“. „Wenn Sie es nicht gesagt hätten, wüsste ich es tatsächlich nicht“ entgegnete ich spontan, worauf – nach der Übersetzung ins russische - der liebenswerte Verkäufer lauthals loslachte. Das war eine typische Szene, wie wir sie oft erlebten auf der Krim. Zehn Tage waren wir als Touristen dort. Die Reise war lange geplant. Ursprünglich waren wir eine Gruppe von 18 Personen, von denen dann 14 die Reise wegen der „unsicheren Situation“ absagten. Auch wir hatten natürlich gemischte Gefühle, bevor wir aufbrachen. Gibt es Unruhen ? Herrscht Mangel ? Gibt es Sicherheitsrisiken ? Allerdings kam dann alles völlig anders als erwartet. Die Erfahrung und die Wahrnehmung auf der Krim waren tatsächlich sehr verschieden von dem, was uns hier von den Informationsmedien vermittelt wurde.

Die Anreise per Flugzeug ging über St. Petersburg, der ursprüngliche Weg über Kiev ist nicht mehr möglich. Beim Umsteigen in St. Petersburg richteten wir uns zunächst an dem Schild „International Transfers“ aus, um dann schnell festzustellen: Halt, das ist ja ein „Domestic flight“, die Krim ist doch jetzt russisch! Eine Passkontrolle war nicht mehr nötig. Das Flugzeug war voll besetzt, vor allem mit russischen Touristen.

In Simferopol, der Hauptstadt der Krim, erwartete uns – die erste positive Überraschung – ein sehr gut deutsch sprechender Reiseführer, der sich – obwohl Russe – sehr schnell als ein Gegner der russischen Politik darstellte. Dennoch, so meinte er gleich auf erste Rückfragen, seien tatsächlich mindestens 65% der Bevölkerung sehr froh über die aktuelle Entwicklung, über die Annexion durch Russland und positiv gestimmt. Das liege natürlich auch daran, dass die Gehälter der Beamten mindestens verdreifacht - bei Ärzten sogar verfünffacht - wurden,. „Russland hat tatsächlich in 6 Monaten mehr Geld in die Krim investiert als die Ukraine in zwanzig Jahren“, meinte er. Dennoch würde er aus grundsätzlichen Überlegungen keinen russischen Pass beantragen.

Tourismus ist nach wie vor wichtigster Wirtschaftszweig

Noch eine Überraschung: Yuri, unser Reiseleiter, sagte uns, wir wären nach seinen Informationen die ersten westlichen Touristen seit sechs Monaten. Überall würde sehr bedauert, dass keine Touristen mehr aus Westeuropa kämen und man wäre sicherlich sehr froh, uns begrüßen zu dürfen, man würde uns sogar „den roten Teppich ausrollen“.

In den nächsten Tagen sollten wir sehr schnell erfahren, dass tatsächlich fast nur russische Touristen da waren, überraschend viele. Auf ca. 65 % früherer Jahre schätzte Yuri das Touristenaufkommen. Während aber in früheren Jahren 80 % aus der Ukraine, 10 % aus Russland und 10 % aus anderen Ländern kamen, sei es jetzt umgekehrt: 80 % kommen aus Russland, 10 % aus der Ukraine und 10 % aus Weißrussland und anderen Ländern. Nicht selten sahen wir Luxuslimousinen mit ukrainischem Kennzeichen. Unser Reiseführer klärte uns auf, dass wohlhabende Ukrainer aus dem umkämpften Donbas-Gebieten einen Teil der ukrainischen Touristen ausmachen.

Die Krim hat eine hochinteressante Geschichte und war immer am Schmelztiegel der Weltgeschichte. Sie war eine wesentliche Zwischenstation auf der Seidenstraße, sie wurde bereits von Homer beschrieben und früh von Griechen bevölkert. Später kam dann der Mongolensturm und viele wurden nach dem Zerfall der „Goldenen Horte“ sesshaft auf der Krim. Konstantinopel und Genua beherrschten zeitweise die Südküste der Krim, bauten Burgen. Später dann das Khanat der „Krimtataren“, die recht bald Tribut an das osmanische Reich zahlen mussten. Ab dem 18. Jahrhundert, unter Katharina der Großen, wurde die Krim dann russisch. Sewastopol als Sitz der russischen Schwarzmeerflotte wurde gegründet. Nach dem 2. Weltkrieg dann die Eingliederung in die Ukraine und zuletzt die Annexion durch Russland.

Die wechselvolle Geschichte spiegelt sich in der kulturellen Vielfalt. So liegt der Palast in der alten Hauptstadt der Krim-Tataren nur wenige hundert Meter neben einem christlichen Kloster und an der Küste liegen die Zarenpaläste, neben alten genuesischen Burganlagen.

Überall Schilder mit „Free Wi-Fi“

Dominierend ist das Russische. Die Sprache, die Schilder, die Speisekarten – alles nur in Russisch. Überall russische Fahnen. An unserem ersten Sonntag auf der Krim war Kommunalwahl. Die Wahlplakate unübersehbar, darunter auffallend viele der russischen Rechtsradikalen mit ihrem Führer Zhirinovsky und der Kommunisten. Tatsächlich gewannen beide Parteien – bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 % - nur wenige Stimmen, die Rechtsradikalen immerhin 7 %. 70 % entfielen auf die Putin-Partei. „Das trifft auch die Stimmung“, so Yuri, „aber die meisten haben keine Lust auf große Politik“. Deswegen die geringe Wahlbeteiligung. Abends im Internet konnten wir dann erfahren dass die Wahl im Westen als eine Farce angesehen wurde. Apropos Internet: Praktisch überall „free Wi-Fi“, selbst im Hotelschwimmbad – so etwas kannten wir von Deutschland nicht.

Überhaupt scheint alles gut organisiert zu sein. Die Verwaltung verläuft reibungslos – von der Müllabfuhr bis zum Postamt. Die Läden waren voll, es scheint an nichts zu mangeln. Auffallend waren die Sauberkeit, die Großzügigkeit der Straßen und die herrlichen Anlagen und Fußgängerzonen in Sewastopol und Jalta. Nur gelegentlich wird die Pracht getrübt durch Bauruinen aus verschiedenen Krisenzeiten der jüngeren Vergangenheit, der Zeit der Loslösung von der Sowjetunion, der Finanzkrise 2008 sowie der jüngsten Umwälzung oder durch hässliche Plattenbauten, Bausünden aus Sowjetzeiten. Das Flair war südländisch, erinnerte an die Cote d ´Àzur. Abends überall Live Music und es wurde viel getanzt, meist auf der Straße. Insbesondere Jalta wirkt sehr mondän, mit einer beeindruckenden Strandpromenade.

In der Nähe von Sewastopol liegt die Hafenstadt Balaklawa, die bis vor 25 Jahren offiziell überhaupt nicht existierte. Dort baute die Sowjetunion in einer malerischen Bucht große Atombunker und unterirdische Häfen für Unterseeboote. Heute ist der Bunker ein Museum und Touristenattraktion, in dem Hafen des pittoresken Städtchens liegen die Yachten und Boote der Reichen.

Zwischendurch bekamen wir besorgte Mails von zu Hause – wir waren praktisch immer Online - : „passt auf Euch auf“ „Kommt heil nach Hause“. Vor Ort wirkten solche Nachrichten wie aus einer fremden Welt, die keine Vorstellung davon hatte, wie es hier tatsächlich aussah. Wir empfanden die Gefahr eines Sonnenbrandes als das einzig erkennbare Risiko….

„Broadway“ in Sewastopol

Das Kulturangebot ist reichlich. In Sewastopol erspähten wir Plakate zu einer „Broadway-Show“, im „Academic Dance Theatre“. Da mussten wir natürlich hin. Und wieder eine Überraschung. Das Theater war im traditionsreichen „Haus der Pioniere“ untergebracht. Wir saßen praktisch auf der großen Bühne, die Vorstellung war ausverkauft. 40 Tänzerinnen und Tänzer boten eine hinreißende Tanz- und Musikshow, ein Potpourri aus Michael Jackson´s „Thriller“, „West Side Story“, „Cabaret“ etc. „I like to be in America“ in Sewastopol, im Publikum sicherlich viele Offiziere der russischen Schwarzmeerflotte. Für uns sehr erstaunlich. Am gleichen Tag, als in Moskau gegen Putin demonstriert wurde, fand in Sewastopol ein „Lauf der Jugend“ statt. Tausende von Jugendlichen drehten im Zentrum der Stadt eine Runde, angefeuert von Eltern und Freunden. Am zentralen Platz standen gleichzeitig Jugendliche und sammelten für die „Volksrepubliken Donbass“…

Fazit: Der Widerspruch zwischen den ursprünglichen Vorstellungen über die Zustände auf der Krim und dem, was wir vorfanden, hätte kaum größer sein können. Natürlich ist es möglich, dass wir eine falsche Vorstellung bekamen, dass es unter der schönen Oberfläche gärt, dass niemand es wagt, seine Opposition offen zu zeigen. Den Eindruck hatten wir als Touristen allerdings nicht. Vieles nimmt man sogar mit großem Humor und macht sich über die Stimmung im Westen lustig. So hängen viele Verkaufsstände voll mit T-Shirts mit innovativen Putin-Portraits und Aufdrucken wie „In Putin We Trust“ oder „Greetings from Crimea“. In den alten Diktaturen wäre es undenkbar gewesen, dass der „große Führer“ auf T-Shirt so „veräppelt“ würde. Und in der traditionsreichen Krim-Sekt Kellerei meinte die Kellermeisterin bei der Sektprobe voller Selbstbewusstsein, dass die Sanktionen des Westens gegen den „echten Krimsekt“ für diesen „sehr gute Reklame“ seien. Wir hatten von den Sanktionen gegen den Krim-Sekt bis dahin nichts gehört…

Zurückblickend: Die Krim ist ein lohnenswertes Ziel für interessierte Touristen, mit einer tollen Küstenlandschaft, vermittelt viele Eindrücke an den Brennpunkten der Weltgeschichte und Kulturen – damals wie heute – ,wobei natürlich die Problematik des russischen Verhaltens in der Ukraine nicht ausgeklammert werden kann. Dennoch ein komisches Gefühl angesichts der großen Diskrepanz zwischen dem von den Medien gezeichneten Bild und der erlebten Realität vor Ort. Unwillkürlich fragt man sich, ob wir nicht auch in vielen anderen Bereichen in einer medialen Scheinwelt leben…

Ernst-Ludwig Drayss

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